Rezension

PEARCE, F. (2016): Die Neuen Wilden: Wie es mit fremden Tieren und Pflanzen gelingt, die Natur zu retten. oekom verlag München, 330 S.

Die folgende Rezension erschien 2016 im Heft UfU 79 themen und informationen. S. 44-45. pdf

Als wir 2009 begannen, die Koordinationsstelle Invasive Neophyten in Schutzgebieten Sachsen-Anhalts (KORINA) aufzubauen, habe ich mit großer Begeisterung das Buch von Uta Eser „Der Naturschutz und das Fremde“ gelesen. Seither war es eine wichtige Grundlage für unsere Arbeit. Eser stellt in ihrer Arbeit u. a. die These auf, dass Naturschützer vielfach unbewusst ihre eigene Angst vor Fremdem und vor Veränderung ummünzen in Aktivitäten gegen Neobiota, d. h. seit 1500 eingewanderte oder eingeführte Tiere und Pflanzen. Ihr Buch endet mit der Forderung, diese unterschwelligen Mechanismen zu erkennen und unwirksam zu machen, indem man die Auswirkungen der Neobiota eingehend untersucht, differenziert bewertet und nur die wirklich problematischen Arten bekämpft.

Dieses Buch ist jetzt fast zwanzig Jahre alt. Es wurde zu einer Zeit geschrieben, als die Invasionsbiologie als Wissenschaft und das Neobiota-Management als Naturschutzpraxis gerade in den Kinderschuhen steckten. Wissenschaftler und Praktiker haben seither Theorie, Forschung und Praxis umfassend weiterentwickelt. Die Bewertung der Arten wurde auf wissenschaftliche Füße gestellt. Mit dem Begriff invasiv werden heute diejenigen Neobiota bezeichnet, die nachweislich negative Auswirkungen haben. Nur diese Arten, ein Bruchteil aller Neobiota, werden kontrolliert.

Auch das Buch „Die neuen Wilden“ von Fred Pearce kann Begeisterung auslösen. Weil seine Argumente so zeitgemäß, multikulti, anti-establishment und positiv wirken. Aber im Gegensatz zu Eser 1999 baut das Buch von Pearce nicht auf eigenen Untersuchungen auf, sondern auf willkürlich zusammengestellten Fakten und aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten. Im Gegensatz zu Eser 1999 klärt es nicht auf, sondern vernebelt.

Die Argumentation von Pearce folgt folgenden Schritten: Menschen sind weltweit die Verursacher der Ausbreitung von Neobiota. Diese siedeln sich besonders massiv dort an, wo die Natur durch den Menschen extrem geschädigt wurde. Sie sind also nicht die Ursache sondern nur die Nutznießer von Umweltschäden, welche sie dann oft durch ihre Anwesenheit verringern. Invasionsbiologen und Naturschützer würden dagegen die eigentlichen Ursachen von Umweltschäden ignorieren, die Neobiota verteufeln und mit meist erfolglosen Maßnahmen bekämpfen. Sie würden die positive Seite der Neobiota leugnen und sich in einem teuren und aussichtslosen Krieg gegen die Veränderung der Natur befinden. Die Naturschutzpraxis würde auf falschen Vorstellungen aufbauen, wie Natur funktioniert. Besser wäre es, die Neobiota als neue Wilde willkommen zu heißen.

Hier werden richtige und falsche Fakten kunstvoll gemischt, um sie einer fast ideologisch anmutenden These anzupassen. Natürlich kann ich gar nicht alle Halbwahrheiten oder Falschaussagen identifizieren, das Thema ist sehr komplex. Ich kann die Aussagen des Buches nur anhand meiner Erfahrung mit KORINA prüfen.

Pearce unterscheidet sehr oft nicht zwischen nachweislich problematischen, d. h. invasiven Neobiota und unproblematischen Neobiota und behauptet, dass das auch von anderen nur selten getan wird. Er freut sich darüber, dass Neobiota die Artenvielfalt erhöhen, was stimmt, und ignoriert, dass die Erhöhung der Artenvielfalt gar nicht immer das Ziel des Naturschutzes ist, sondern genauso oft die Erhaltung historisch gewachsener Lebensräume mit ihren vielfältigen, z. T. über Jahrtausenden entwickelten Beziehungen zwischen den Arten.

Er postuliert, dass Naturschützer nur unberührte Natur schützen wollen. Vielleicht ist es in Amerika so. Hier in Deutschland ist es jedem Freilandbiologen bzw. Naturschützer klar, dass alle Lebensräume vom Menschen geprägt sind. Viele der aufwändig geschützten Naturschutzobjekte sind sogenannte halbnatürliche Kulturbiotope wie z. B. Wiesen oder Niederwälder.

In den 4% der deutschen Landschaft, die als Naturschutzgebiete geschützt sind, versuchen die Naturschützer, gegen den überwältigenden Einfluss von Überdüngung, Pestizideinsatz, Nutzungswandel und Zerschneidung die heimischen Lebensräume und Arten zu erhalten. Lebensräume, die oft in ihrer Art einmalig sind und die für die Naturschützer einen Wert darstellen. Die sich in den letzten Jahren massiv ausbreitenden invasiven Neobiota, wie Waschbär und Staudenknöterich, erschweren diese sowieso extrem herausfordernde Arbeit zusätzlich.

Pearce behauptet, dass invasive Pflanzen, wie z. B. Staudenknöterich und Riesenbärenklau, auf städtische Lebensräume beschränkt bleiben und kaum Schaden anrichten. In Sachsen-Anhalt ist das auf jeden Fall anders: Beide Arten haben sich aus den Siedlungen in die freie Landschaft ausgebreitet und sind jetzt in vielen Naturschutzgebieten zu finden. Sie bilden dichte Dominanzbestände, in denen kaum andere Arten auftreten. Sie wieder zu entfernen ist nur mit langjährigem hohem Aufwand möglich.

Pearce fordert auf, die Erhaltung historisch gewachsener Lebensräume aufzugeben und sich an den spontan entstehenden neuen Lebensräumen auf Bergbauhalden, Brachen und in vergifteten Gewässern zu freuen, in denen Neobiota tatsächlich oft eine wichtige, positive Rolle spielen. Problematisch ist es aber, solche neuen Lebensräume gegen die historisch gewachsenen aufzuwiegen.

Klimawandel, Wirtschaftswandel und die Ausbreitung von Neobiota werden in den nächsten Jahren viele neue Probleme ungeahnter Dimension bringen. Natürlich gibt es viele unbeantwortete Fragen und Diskussionsbedarf darüber, welche Natur wir wie schützen wollen und können. Um diese zukünftigen Herausforderungen zu stellen, sollten wir uns nicht einlullen lassen von vereinfachenden Ideologien, sondern wach und offen mit den Veränderungen umgehen lernen.

Katrin Schneider

 

Weiterführende Literatur:

ESER, U. (1999): Der Naturschutz und das Fremde: ökologische und normative Grundlagen der Umweltethik. Campus Forschung Band 776. Campus-Verl., Frankfurt/Main u.a. 266 S. >>

HENEGHAN, L. (2015): Is There Need for “The New Wild”?: The New Ecological Quarrels. lareviewofbooks.org. (abgerufen am 20.10.2015). >>

HULME, P. E. et al. (2015): Challenging the view that invasive non-native plants are not a significant threat to the floristic diversity of Great Britain. Letter. Proceedings of the National Academy of Sciences 112(23). >>

RICCIARDI, A. & RYAN, R. (2017): The exponential growth of invasive species denialism. Biological Invasions 20, S. 549-553. >>